Naseweisheiten
„Es kommt darauf an, was man daraus macht.“
Sagt ein von Betonköpfen ersonnener Werbespruch, der die Verheerungen eines sturzbesoffenen Voluntarismus´ von fast schon flächendeckenden Ausmaßen in den Köpfen angerichtet hat.
Ungefähr 140.000 Einträge sind derzeit zu diesem Prädikatsatz (...„was man daraus macht“) ergooglebar. Die dazugemischten Subjekte ("X ist", ...) machen den Inhalt eines mittleren Wörterbuches aus, denen in aller Stupidität nur immer eines nachgesagt wird, dass es darauf ankäme, was man daraus macht.
Diese muntere Souveränität im kreativen Umgang mit jeglicher Materie suggeriert eine fröhlich stimmende Unabhängigkeit des Willens vom Gegenstand und seinen Gesetzen.
Ganz als ob man die Hühner nur umoperieren müsste, und schon hätte man lauter Adler.
Der missachtete Gegenstand wird seine Gesetzmäßigkeit gleichwohl gleichmütig gegen alle Illusionisten kehren, die im Umgang mit Konzernen, Konzentrationslagern, Kernreaktoren, Kriegswirtschaft, Krise...you name it... einfach mal so „was draus machen.“
Übrigens: genau das haben sie dann daraus gemacht.
Nur gut für die Macher, dass die Leute sich nichts daraus machen.
Am liebsten redet, wer nichts begreift, von der Weisheit, wie die Huren vom tugendhaften bürgerlichen Lebenswandel.
Weise Gedanken hat jeder, nur der Dumme verschweigt sie nicht.
Dass sich jeder Tölpel für weise halten kann, weil die Weisheit als Phänomen des Selbstbewußtseins („Oh, ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht“. Lortzings mehrfach des Gegenteils überführter Bürgermeister in: Zar und Zimmermann.) überhaupt nicht falsifizierbar ist, (Si tacuisses philosophus mansisses) hat ihr nach ca. 2000 Jahren gerechterweise die Clientel weitgehend entzogen.
Immerhin dürfte es schon etwas besagen, dass der Letzte, den die Weisheit umtrieb, Schopenhauer war:
- Es strebt der Mensch solang er irrt.
Und aus den Affen, die nichts hören, nichts sehen und sich auf die Fresse schlagen, ist der normale Abnicker abzuleiten.
Die Philosophen nach diesen Affen haben ihren Schülern zumindest in Rechnung gestellt, dass von der Ausrufung des modernen Staates an „das kälteste aller Ungeheuer“ (Nietzsche), nämlich der Staat und seine Gewalt, der individuellen Bewältigung der Lebensprobleme einen dicken Strich durch die Rechnung machen kann. Wenn die Dummheit regiert, wird man sehr viel Weisheit nötig haben. Und die Zurückgeworfenheit auf individuelle Verarbeitungstechniken greift seither doch besser auf Sokrates zurück: „Ich weiß, dass ich mir ´s nicht leisten kann, weise zu sein.“
Der Prediger Salomo hielt dafür: „Sei nicht allzu gerecht und allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.“ Darüber kommt keiner hinaus.
Auffällig auch, dass die Fürstenspiegel aus der Feder von Intellektuellen oder (seltener) aus der des Gewalthabers selber hinsichtlich des weisen Gebrauchs des freien Umspringens mit allem um alles andere kreisen als sich selbst: „Der Weisheit eine Gasse! Ein Leitfaden für Führungskräfte.“
Im Unterschied zu BMW, die mit diesem Slogan hausieren ging, bin ich fürs Weiterdenken nur im Zusammenhang mit weiter Denken.
Etymologisch von „sich der Muse entledigen, sich ihrer berauben“ herzuleiten.
Dieser Wink der Sprache über den Amüsierbetrieb der medialen Kulturwarenproduktion plaudert eine Wahrheit aus, die sogar dann noch stimmt, wenn er falsch ist.
Einen Gedanken kapiert man, oder auch nicht, den Beziehungsaspekt von Sprache kann man verstehen, oder auch nicht.
Sollte daher die Hermeneutik beanspruchen, sie verstehe nicht nur, sondern sei auch fürs Kapieren zuständig, täuscht sie sich.
Umgekehrt erleidet manch ein Wissenschaftler Schiffbruch in den Untiefen des Tieferen, wenn er sein Wissen auch noch verstehen will.
Weisheit des Silen
"Lange Zeit jagte König Midas im Walde nach dem weisen Silen, dem Begleiter des Dionysus. König Midas wollte von ihm erfahren, was für den Menschen das Allerbeste und Allervorzüglichste sei. Als er ihn endlich gefangen hatte, widerstand der Gefangene und offenbarte die Wahrheit seinem Peiniger erst unter schwerster Folter:
"Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Ersprießlichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich - bald zu sterben."
Diese alte griechische Sage vom gefangenen und geschundenen Faun und seiner unliebsamen Wahrheit wurde erstmals von Herodot (490-425 v. Chr.) aufgeschrieben.
Etwas jünger aber in dieser Hinsicht genauso auskunftsfreudig ist die Bibel.
Im Buch Kohelet (auch „Prediger Salomo“) des alten Testaments finden sich Sprüche wie:
"Ich sah all das Tun, das unter der Sonne getan wurde und siehe, alles ist Hauch und Haschen nach Wind."
Dort steht auch das rettende Heilmittel nachzulesen, von dem keiner glaubt, dass es eines sei, weil schon der Ausgangspunkt für vermeidliche Verwerflichkeit gehalten wird:
"Sei nicht zu fromm, und übertreib es nicht mit deiner Weisheit!"
Dieser feine Epikuräismus hat seit der Zeit seiner erstmaligen Empfehlung (um 250 v. Chr.) nichts von seiner Angeratenheit verloren.
Leser dieses! Möge deine Flasche immer voll sein!
ist das Gegenteil von „Sich- etwas – einleuchten - lassen“.
Das auf diese Weise nicht Begriffene stellt eine enorme Willensleistung dar, unter Ausschaltung der Geisteskräfte Notwendigkeiten anzuerkennen, für die noch nicht einmal gute Gründe gefunden werden können.
Und gute Gründe sucht man bekanntlich, wenn man von dem Grund nichts wissen will.
Be-Urteilen
Da so schnell kein anderer dem je eigenhändig fabrizierten Maßstab genügen kann, besteht die Welt der höheren Primaten logischerweise aus lauter Leuten, die einander von Herzen gering schätzen.
Wozu sollte man diesen Irren widersprechen?
Voilà, das geräuschvolle Schweigen der Lämmer und ihrer Hirten.
Erklärungen
über unser Vorkommen in Zusammenhängen des demokratischen Kapitalismus werden allgemein als unbefriedigend bis unverdaulich empfunden.
Was ist es, das fehlt?
Das vollausgebildete moralische Individuum möchte in seiner zu erbringenden Leistung gewürdigt werden, um stolz auf sich sein zu dürfen. Seine erbrachte Anstrengung sieht sich aber nur als wenig imponierende abhängige Größe tituliert.
Dabei hätte dieses Ideologieprodukt Individuum es doch ganz leicht. Als mit Verstand, Wille und Gemüt begabtes Wesen bräuchte es sich eigentlich nur als solches aufzuführen.
Augenzeugenschaft
habe den Makel, dass sie ihrer erkenntnistheoretischen Unbedarftheit zum Opfer fällt, versichert uns der Philosoph.
Den Star würde ich ihm gerne stechen: der Obskurantismus hat sich schon immer gegen Klarsichtigkeit ausgesprochen.
Die richtige Beobachtung jüngerer Menschen, dass man dem machtlosen Alter gefahrlos seine inflexible Lächerlichkeit vorhalten darf, wenn es sich hartnäckig weigert, Jugendirresein als Entschuldigung für Unannehmbares zu akzeptieren.
Die zu recht berühmte Prinzessin auf der Erbse wachte – wir erinnern uns – grün und blau am ganzen Körper auf, nachdem sie auf 20 Matratzen genächtigt hatte, unter denen sich eine Erbse befand.
Jene Rüpel und Faschisten, die über so einen entarteten Weicheierstock herzlich lachen, sollte man vielleicht daran erinnern, dass genau diese Hämatome der Beweis für ihr königliches Geblüt sind.
Man muss sich als Liebhaber der Schönen Literatur davor hüten, die Gewohnheiten des kompetenten Lesers auf die Entschlüsselung von Menschen zu übertragen.
Im Kosmos eines Romans will alles aus sich selber beurteilt werden und ein äußerliches Messen, das darauf hinausläuft, ein Werk gegen das andere schöner oder größer oder origineller zu befinden, ist banausisch.
Menschen jedoch werden vom Tag ihrer Geburt an gemessen, gewogen, beurteilt, also einem Maß unterworfen, das ihnen durchaus äußerlich ist.
Die Auffassung, dass alles was am Menschen messbar und verwertbar ist ihn ja gar nicht ausmache, ist eine sehr belletristische.