Naseweisheiten
Schau in deinen Reisepass, wenn du wissen willst, wer du bist.
Neben dieser Bestimmung des ihr Wesentlichen, das ja wohl dann auch in Erscheinung tritt, hält sich die Vorstellung einer Bestimmung, auf deren Suche das bürgerliche Individuum ist, weil es da hingeschickt worden ist, um diesen Akt der Freiheit zu genießen und in Bildungsromanen breitzutreten.
Was mich betrifft:
Bin irgendeiner, an irgendeinem Tag, an irgendeinem Ort, und das Leben lächelt mich an, mit dieser Miene einer Verrückten.
Die Beliebtheit der Idee rührt von ihrer uns schmeichelnden Erinnerung daran, dass wir eben nicht schlicht zusammenfallen mit der Hinfälligkeit unseres Fleisches.
Eine gewisse Beliebigkeit, Unverbindlichkeit, um nicht zu sagen Promiskuität ist ihr aber leider nicht abzusprechen: da reibt sich ein Sartre am Schopenhauer, und Plato lehnt verträumt am Paracelsus. Deren methodische Systematik rettet sie gerade noch vor dem Vorwurf an die Adresse einer Anthologie bloßer Einfälle.
Was darüber hinaus den Verdacht einer gewissen, sie durchaus charakterisierenden Unfruchtbarkeit nährt, ist der gar nicht zu übersehende Umstand, dass ihre ältesten Hüte von Zeit zu Zeit als der letzte Schrei ausgerufen werden.
Die Kuh glaubt, weil sie mitten auf der Wiese steht, dass die, und alles andere auch, sich um sie drehe.
Die Frösche glauben fest daran: der eigentliche Grund des Teiches seien sie.
Damit, dass der Mensch in allen möglichen - von ihm formulierten -Sätzen vorkommt und auch sonst überall dabei ist, ist die These seiner überflüssigen Randständigkeit noch keineswegs widerlegt.
Daher zeugt es bei der Wahl zwischen Humanismus und Bestialismus von Klugheit, sich für sich zu entscheiden.
In die Idylle bürgerlicher Verhältnisse bricht grundlos Unaussprechliches, aber leicht Darstellbares, das Grauen ein.
Damit ist alles, was täglich von oben als Ausgesprochenes, aber nicht Darstellbares Angst macht, außer jeglichem Betracht.
Ab sofort kämpfen interessant geformte Zellhaufen gegen organisch nicht so ansprechende Zellhaufen trivialexistenzialistisch am limit um ihr Leben.
Und nicht etwa gegen Ausmachbares.
Wie müssen die Leute ihr Leben hassen, wenn schon das empörungslose, leere Um - sich - Schlagen Befriedigung verschafft!
Umgekehrt ist es genau so richtig: der kultivierte Hass auf Undefinierbares (und deswegen der Form nach Indefinites) setzt die Ausgelieferten wieder in ihre Rechte ein: die Ausgangslage des angeblichen Idylls kämpferisch zu restituieren.
Und all dies habt ihr gesprochen!
Die Mandarine des westlichen Kulturkreises erzählen uns von Thomas von Aquin bis zur Süddeutschen Zeitung, dass das Wissen sowieso unterschiedslos im Glauben aufgehe.
Es ist mir aber beispielsweise doch lieber, dass mein Zahnarzt nicht bloß glaubt, dass er alles über Zähne weiß.
Im Übrigen könnte von mir aus jeder schon wissen dürfen, was er glaubt.
Glaube und Wissen
Seinen Glauben vom Wissen abhängig machen.
Umgekehrt wär´ s Zuteilung von Wissendürfen von Gnaden der Religion.
Gläubig
Voller Zuversicht, dass das logisch Unmögliche tatsächlich Ereignis wird.
Dieses Asyl des Sklaven erspart ihm seine fürsorgliche Verwahrung.
... Zum Beispiel sehe ich seit Jahren auf einer Autobahnbrücke ein eierschalenfarbenes Auto parken - nicht mit den üblichen zwei Seitenfenstern, sondern mit derer luxuriösen vieren, also eine Art überlanges Doppel-Auto auf seinen normalen vier Rädern. Dass das in der Mitte nicht durchhängt? Hat das ein Chassis aus Carrara-Marmor?
Gestern lese ich einen Roman von DeLillo, wo eine Stretch-Limousine vorkommt. Und schon passt das namenlose, nur mit Umschreibungen weitergebbare Auto-Dings mit dem neuen Wort zusammen.
Dass die Dinge allmählich überhand nehmen, für die ich keinen Namen weiß, war mir erstmals in Peter Careys Romanen und später in der Pop-Literatur aufgefallen. Streckenweise konnte ich noch nicht einmal raten, worum sich´ s bei den Aufzählungen aus der kaufbaren Dingewelt handelt. Wollte mir schon ein australisches Pendant zum Quellekatalog anschaffen.
Da fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, worin Epiktet nun wirklich recht hat: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, die ich nicht brauche.»
Und sie werden immer mehr. Und waren damals schon zu viele.
Mir fehlt in solchen Fällen zu dem Wort einfach das Ding.
Ob aber, den Zusammenhang von Laut und Bedeutung zu wissen, sich in dem Falle überhaupt lohnt?
Ich weiß, dass ich keine Ahnung vom „XY-Generator mit linksgetriebenem Überschall-Servolator“ habe. Das schadet aber weder mir noch meinen Zeitgenossen. Im Bedarfsfalle greift hier die bloße arbeitsteilig erstellte Wörterbücherei.
Bei der „neuen Weltordnung“ oder dem „Terrorismus“ und „unseren Interessen“ ist das ganz anders. Diese Bezeichnungen verdanken sich keineswegs einer Art Straßenverkehrsordnung und ihrer Festlegung, auf welcher Straßenseite denn nun gefahren zu haben werde, auf dass niemandes Interesse zu Schaden komme.
Ich habe nichts gegen intellektuelle Bescheidenheit von der Sorte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Die meisten tun sowieso unentwegt so, als trügen sie mehr an der Bürde des Wissens als ihrem Kreuz gut tut.
Ich weiß aber aus Erfahrung, dass dieses „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ keineswegs der Startschuss dafür ist, dass einer sich jetzt aus Einsicht in einen Mangel auf den Weg der Besserung macht und sich schleunigst nach Wissen umtut.
Im Gegenteil: so einer wird auf einmal pampig und gibt uns zu verstehen, weil er nix weiß, habe gefälligst auch sonst keiner sich auf der Welt auszukennen. Im Handumdrehen sieht man sich an den Pranger der Arroganz versetzt. Und das alles ohne irgendein Argument zu oder über irgendwas.
Unsereiner ist also methodisch korrekt zur Sau gemacht. Den meisten aus der Hetzmeute genügt das. Und nachdem das Familienrudel im Verein kräftig in meine Richtung gespuckt hat, zieht es befriedigt weiter.
Da sitze ich nun in meinem todschicken Prangerkäfig und habe jede Menge Zeit über meine Unwissenheit nachzudenken.
Auf den Regierungsbänken
Spricht man vom neuen Denken.
Kein Wunder, dass das Denken in Verruf geraten ist, wenn Leute, die noch nicht einmal die ernüchternde Gegenwart des Üblichen im Gedanken erfasst haben, jetzt plötzlich sich dazu wortwörtlich ermuntern, „in neuen Zusammenhängen zu denken“.
Da Politiker sozusagen die Kondensatoren der Dummheit sind, wundert dieser neuerliche Beweis machtvoller Beschränktheit überhaupt nicht.
Was die da kondensieren, liegt eh schon länger in der Luft, allwo man ein
- „in die selbe Richtung denken“ vorfindet, und sich davon etwas Gehaltvolles verspricht; und das eine oder andere
- „angedacht“ wird;
- je nach Opportunität mal „lokal denken“ angesagt ist, oder doch lieber „global“;
- einer scheidenden Moderatorin ein „wissendes Lächeln“ zugestanden wird;
- es sogar ein Erkenntnis> <interesse geben soll;
- zu befürchten steht, dass es demnächst im Fernsehen ein „Abenteuer Denken“ geben wird. Die Ver-Abenteuerung von Leben gibt’s schon.
- Vordenker geisten gebildet durch die Medien, und erlaubt ist Nachdenken des Vorgedachten auf Nachdenkseiten.
- Erlaubt ist auch ein kritisches: “Das kann ich nicht nachvollziehen.“, womit klar sein dürfte, worin Denken heute besteht: Identischwerden, Sich-Einfinden im Pferch des Novus ordo Seculorum, den das Große Siegel der Staaten auf der Eindollarnote nicht nur verspricht.
- Da die leicht fassliche Sprache der Brutalität, die in jedem Dollar steckt, jeder versteht, erübrigt sich das Denken tatsächlich.
Deutungskunst
Es gibt einen feinen, egoistischen Dünkel, der es mit seiner enthusiastischen Feier des ausschließlich individuellen Zugangs zu schlechterdings ALLEM zu großem Ansehen unter den Auslegern gebracht hat: die Hermeneutik.
Bilder vom Menschen, an Stelle seiner selbst?
Die sind samt und sonders alle erwünscht und erlaubt.
Vor allem professionelle Menschenbildner gehen gern mit diesen ideellen Gütern erfolgreich hausieren.
Nur eine moralfreie Bestimmung der bewirtschafteten Biomasse nach dem Kriterium ihrer Verwertbarkeit für den Erhalt des zivilisatorischen Standards, das ruft vorhersagbar Empörung hervor.
Dabei kann man schon dem jährlich wiederkehrenden Aushandeln von kapitalverträglichen Löhnen nun wirklich nur eins entnehmen: der Mensch ist eine viel zu kostspielige Bestandslücke im Maschinenpark. Genau so wird er denn auch ver- und behandelt. Um das herauszufinden, braucht man noch nicht einmal Marx gelesen zu haben.
Kaum sagt das aber einer laut, verwahrt man sich gegen diesen unerlaubten Versuch der zynischen, monokausalen Proselytenmacherei. Dabei war eigentlich in dieser Bestimmung nur die Rede davon, was es die Leute so kostet, wenn ihnen zu verstehen gegeben wird, sie sollen sich gefälligst als Kosten verstehen.
Vom faschistischen unnützen Fresser trennen solche Qualifikationen nur, dass das nütze Konsumenten sind, weswegen sie dieser wachstumsförderlichen Funktionalität wegen – wenn auch seufzend - durchgefüttert werden.
Von dieser ganz unwichtigen Marginalie mal abgesehen geht es bei der Menschenbilderei nach dem Urteil all derer, die ich nicht mag, um ganz anderes, nämlich um die guten Zwecke einer Hilfe für das ansonsten verlorene Menschentum.
- Der Mensch ist nämlich als zoon politicon eine, gottseidank, nivellierte Mittelstandsgesellschaft (Soziologie bis Politologie)
- eine nur dualistisch zu fassende Ganzheit von materiell -spirituell polarisierter Einheit (von den humanistischen Dunkelmännern bis zu den Religionsverwesern)
- und für alle anderen Disziplinen der akademischen Ergötzlichkeiten ist der Mensch…vom Mängelwesen, das deswegen der Moral und anderer Kandaren bedarf, weil sonst… bis Krone der Schöpfung, die sich mitunter auch gerne im Schlamm suhlt…Freiheit, die durch Verantwortung….ad libitum, kurzum:
Der Mensch ist ein einziges schwieriges Problem, das zu lösen nur er selber sich besser nicht unterstehen sollte. Darin sind sich alle einig, deren Menschenbildnerei immer auf eine überschaubare Anzahl von öden moralischen Forderungen hinausläuft, die jedoch als harmlose Ist-Bestimmungen vorgetragen werden.
Da war ja der Dekalog realistischer und ehrlicher.
Von all diesem leichtgewichtigen Volatilen ist im aufgeklärten Menschenbild nichts verzichtbar.
Da diesem aufgeklärten Zeitalter aber auch gar nichts von dem, was es halt so gibt (Panzer, Pfaffen, Prostitupäpste), verzichtbar erscheint, weswegen immer nur an der verfehlten Allokation von Ressourcen zu mäkeln ist, komme auch ich mal mit einem „modest proposal“ daher und schlage folgende Neuzuordnung bereitliegender Mittel vor:
Man stelle dem Mörder hinfort frei, ob er die vom Gericht verhängte Strafe annehmen, oder doch lieber im Metier verbleiben und als Soldat in Zentralasien seine Fähigkeiten weiterhin unter Beweis stellen wolle.
Das löst doch, nicht wahr, so manches Problem?!
Irgendwann nach Feierabend.
Sie, die effiziente Durchschlagskräftige mit diesen knallenden Stöckelabsätzen nähert sich ihrem Mercedes, gewahrt einen Werbezettel unter ihrem Scheibenwischer und schmeißt ihn ungelesen in die Gegend, bevor sie ihren ferneren wichtigen Zusammenhängen nachkommt.
Kommt mir vor wie ein schönes Beispiel für den grassierenden Mythos der Arbeitsteiligkeit. Es gibt darin den Graphiker, den Drucker, den Verteiler, den Wegschmeißer, den Aufsammler und den lieben Gott im Himmel.
Eben jeder Arsch an seinem Platz.
Mehr braucht man darüber nicht zu wissen.
Dies mythengesteuerte Gesindel erschauert am Wochenende ebenso pflichtschuldigst und vorhersagbar vor dem 400-jährigen Baum.
Das sind - mit Verlaub - Billardkugeln, die Ihresgleichen auseinanderstieben machen, als ob die bloße bewusstlose Weitergabe einer nicht ihnen innewohnenden Energie ein wohlüberlegtes Resultat ihres höchstpersönlichen Willensentscheids sei.
Wie schwer es ist, eine gänzlich anders programmierte Öffentlichkeit dazu zu bewegen, auch nur einen Moment lang die objektive Seite von allem, was sie sehr wohl weiß, festzuhalten, mag man daran ermessen, dass niemandem einfiele, die täglich fortschreitende Vergiftung von Land und Leuten unter der Kategorie des objektiven Maßstabs der Verarmung zu denken, geschweige denn als solche zu bezeichnen.
Wie heißt, statt dessen, alles ökonomisch Ruinöse, kulturell Erodierende, sozial Zerreißende und die Minimalstandards einer Verfassung Unterminierende?
Richtig. Problem.
Selbst noch bei den "Problemen" könnte man ja mal versuchen, zu intervenieren, denn objektiv gesehen kriegen WIR die nun mal an den Hals, aber ganz andere, uns völlig fremde Leute behaupten von sich, SIE hätten sie und setzten sich damit in förderlicher Weise auseinander.
Womit wir das nächste Problem aufgeschwätzt bekommen.